Wednesday, June 4, 2008

Kulturelle Vielfalt

Einleitende Überlegungen

Das Begriffspaar „Kulturelle Vielfalt“ entzieht sich sofortiger Definition. Daher will ich hier den Versuch einer Annäherung aus verschiedenen Blickwinkeln unternehmen. Bemüht man sich hier um eine bibliographische Übersicht, so wird man erwartungsgemäß mit Unmengen sehr unterschiedlicher Sichtweisen und Analysen aus den verschiedensten Blickwinkeln universitärer und journalistischer Disziplinen belohnt.

Von sprachlicher Archäologie
Als Germanist neige ich zur komparatistischen Blickweise, zur Fixierung auf sprachliche Orchideen und Stilblüten, schlicht auf den Einfluß des Fremden, des zum Wort geronnenen Pitoresken hinzuweisen.Fazit ist dabei natürlich immer wieder ein Seufzer, wie viel gar und wann in unserem Wortschatz vorhanden ist, was aus dem Arabischen, dem Lateinischen, dem Französischen, dem Russischen, dem Jiddischen, dem Polnischen usw stammt, entnommen, geliehen, entlehnt und wie auch immer ist.
Klar, dass diese Form von sprachlicher Spurensuche in der Archäologie unserer Muttersprache befriedigt und gleichermaßen versöhnt: Stellt sich doch letzlich der submissive Charakter des „Anderen“ in der Muttersprache klar dar.
Es dominiert das Vertraute oder auch nur das zur Unkenntlichkeit entwickelte Un-Bekannte – eben die Sprachelemente und – anteile, die keiner weiteren Diskussion zu bedürfen scheinen. Beheimatet sind die Worte, die so selbstverständlich als einheimische (deutsche) Sprache empfunden werden, dass jedes Überraschungsmoment verloren gegangen ist, - das Fremde, Fremdartige weicht einer unbewußten Sprachgewohnheit.
Von der Mechanik der sprachlichen Integration und der Unmöglichkeit eine Definition des Begriffs „Kulturelle Vielfalt“ entgültig festzusetzen
Das Erlernte hat hier die Schwelle des zu Lehrenden überschritten. Diese Besitznahme des Anderen lebt mit dem Vergessen seiner Ursprünge. Erstaunliche Parallelen entstehen hier zu unserem Verhalten gegenüber Menschen aus anderen Kulturen: Wir erwarten ein „Abschleifen ihrer Gewohnheiten“, Integration in den Chor der nur eintönig scheinenden Vielfalt heißt, dass wir den Anderscharakter des Mitmenschen nicht mehr sehen wollen, oder ihn – in der – zuweilen etwas hilflosen Variante – der erklärten Toleranz auf wenige Merkmale reduzieren. Das Kopftuch, die Haar- und Hautfarbe; schon bei religiösen Unterschieden und Festen ist es mit der Toleranz vorbei – oder feiert ein Mainstream-Christ ernsthaft das Zuckerfest, den Yom Kippur und so weiter seiner Nachbarn mit? An gewöhnlichen Werktagen finden diese Feste statt und werden bestenfalls folkloristisch bestaunt. Dabei kenne ich viele Menschen, die als Muslime auch einen zaghaften Weihnachtsbaum aufstellen oder gar eine Kombination zwischen Chanukka-Leuchter und Christbaum; dem Fremden kann die Beheimatung, sprich die Integration manchmal leichter gelingen; er unternimmt genau abgegrenzte Angleichungsschritte – erwartet dann aber auch zu Recht, dass „wir“ dies honorieren.

Der Kollektivcharakter der Vielfalt

Eine andere Stimme in mir sagt: Kultur äußert sich in Staaten, in geschichtlichen Bewegungen, in gesellschaftlichen Strömungen, sprich in Kollektivbewegungen. Von „Bewegungen“ mit unterschiedlichen Präfixen. In der Tat kann sich nur etwas bewegen, wenn eine gedankliche oder gesellschaftliche Sonderheit von vielen Menschen angenommen wird, dann entsteht eben eine „Bewegung“, die dann zum Kanon gerinnen kann. Vielen Bürgern ist so zum Beispiel zu selten klar, mit welchen Opfern demokratische Rechte durch die Jahrhunderte durchgesetzt wurden; ein wenig mehr Erinnerung und Bewußtmachung würde sich wohltuend auf die Erwartungshaltung in der Politik und gegenüber den Politikern auswirken.
Die Vielfalt der Entfaltung ist ein Spiegel der menschlichen Natur, am Individuum festgezurrt kann ein Bilderbogen und ein bunter Reigen von Möglichkeiten an meinem geistigen Auge vorbeiziehen, mir fast den Atem rauben und sicherlich so manche schlaflose Nacht bescheren. Das ist dann, wenn im scheinbar multikulturellen Taumel ich meine Verankerung in Geschichte und Gesellschaft anhand von äußerlichen Merkmalen des Anderen in eine Beliebigkeit übergehen lasse. Bis zu einer gewissen individuellen Grenze gibt es hier die Gefahr einer Nivellierung, die niemandem gut tut. Mir kommt da die Geschichte eines befreundeten Priesters in den Sinn, der in der Türkei an dem Ort eines nur in Ruinen vorhandenen christlich-orthodoxen Klosters betete. Die anderen Mitreisenden der deutschen Touristengruppe waren „peinlich“ berührt, gar aggressiv, „und das in einem muslimischen Land“, doch erstaunlicherweise hatten alle anwesenden Einheimischen Respekt und der Fremdenführer wartete auf diesen Touristen freundlich und schweigend. Erkennbare Identität wird von einer anderen Identität abgrenzbar. Und der gegenseitige Respekt kann so Realität werden.

Die Kraft der Ökonomie
Dann aber – ach eitle Vielfalt menschlichen Denkens, setzt in mir ein Anderer Prämissen. Die Ökonomie ist es, die das Handeln bestimmt, die Ausdrucksformen dominiert und den Rahmen bildet. Die realen Verhältnisse gar. Man nimmt sich Zahlen zur Brust, errechnet das Bruttosozialprodukt, den Anteil der Säuglingssterblichkeit, den Zugang von Frauen zu Bildungsinstitutionen und kommt so dann doch zu einer Summe fast unbewußter Entscheidungen und Kategorisierungen, wie wir es schon am Beispiel der Sprache zeigen konnten. Vielfalt ist auch hier eine Entscheidung, die sich historisch auswirkt. Ein Marktsystem schafft bestimmte Konditionen, der Mensch schafft sich aber auch das Marktsystem. Das schaffende Geschaffte ist wieder wirksam, ähnlich wie in der Sprach-Integration dient ein komplizierter Mechanismus des Vergessens und der Vertrautheit hier, Kultur in unseren Köpfen zu definieren. Es ist die Form, die Architektur, der Ablauf der Geschehnisse, die kulturelle Vielfalt ausmachen, nicht die Vermengung, aber die definitorisch-mathematische Abgrenzung (meine Ökonomie, seine „Dritte-Welt-Ökonomie) schafft erst die Entscheidung der Zugehörigkeit. (hier wohl zur sogenannten „Ersten Welt“)

Der Kompromiss in der Vielfalt
Und in den Chor der Stimmen und Besserwisser bricht hinein ein klarer Klang und Ruf: Kulturelle Vielfalt ist menschliche Vielfalt, die nur scheinbar getrennte Parallelität, die schon bei einem einzigen Menschen zum Ausdruck kommt. Bei der Transkription dieser Bescheidenheit in unseren (auch politischen) Alltag könnte hier ein Leitton wirksam werden. Gleichsam mit der Stimmgabel des inneren Diskurses ausgestattet, lassen sich in der Vielfalt Unterscheidungen treffen, die der Beliebigkeit ein Ende und dem Bunten eine Heimat bereiten.

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